Features Image

Vorsicht beim Vorfahrtsverzicht


Auch wenn landauf – landab über schlechte Manieren im Straßenverkehr geklagt wird: Es geschehen noch Zeichen und Wunder. Tatsächlich hält manchmal ein anderer Verkehrsteilnehmer an und gewährt einem freundlich lächelnd mit einer eindeutigen Handbewegung die Vorfahrt. Das ist gut so, weil defensiv und rücksichtsvoll. Aber Achtung beim Vorfahrtsverzicht! Darauf, dass ein anderer auf sein Vorfahrtsrecht verzichtet, darf man sich nicht leichtfertig verlassen. Es muss unmissverständlich und eindeutig sichergestellt sein, dass der Bevorrechtigte auf ein Vorrecht verzichten möchte. Das muss er deutlich zum Ausdruck bringen. Der Be-vorrechtigte kann immer nur auf sein eigenes Vorrecht verzichten. Wenn noch andere Autos unterwegs sind, z. B. auf einer zweiten Richtungsfahrbahn oder beim Überholen, so gilt der Vorfahrtsverzicht des höflichen Verkehrsteilnehmers für die anderen selbstverständlich nicht. Hier ist als größte Vorsicht geboten. Dass musste auch eine Klägerin erfahren, die in letzter Instanz vor dem Oberlandesgericht Hamm ihren Prozess verlor. Die 79-jährige Dame war mit ihrem E-Bike unterwegs gewesen. Sie kam an eine Kreuzung, an der von rechts eine Straße einmündete. An der Kreuzung gab es überhaupt keine Beschilderung; für alle galt die allgemeine Regel rechts vor links. Die Klägerin wollte geradeaus weiterfahren. Ein von rechts kommendes Auto hielt vor dem Kreuzungsbereich an. Die Dame fuhr weiter. Als sie sich vor dem Auto befand, fuhr der Fahrer an und rammte das E-Bike. Die Klägerin wurde verletzt. Der Autofahrer hatte aber seinerseits die Regel rechts vor links zu beachten. Für ihn kam von rechts ebenfalls ein Auto, dass also der Klägerin entgegen fuhr. Diesem Auto hatte er Vorfahrt zu gewähren. Er achtete auf dieses Auto und übersah das E-Bike. Auch wenn die Klägerin dachte, der Autofahrer habe sie gesehen, weil doch angehalten habe: eine Verständigung zwischen den Beiden darüber, wer jetzt fahren sollte, gab es nicht. Es blieb bei der allgemeinen Regel, dass der Autofahrer vorfahrtsberechtigt war, weil er von rechts kam. Die Klägerin trägt hier alleinige Schuld an dem Ver-kehrsunfall. Sie bekommt keinen Schadenersatz. ​

10. Februar 2021