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Streik: Ausgleichszahlung bei Flugausfall?


Die EU-Fluggastrechteverordnung sieht vor, dass Passagieren bei einer Verspätung von mindestens 3 Stunden am Zielflughafen oder einer erst innerhalb von 14 Tagen vor dem Abflugszeitpunkt mitgeteilten Annulierung ein Ausgleichsanspruch zusteht. Dieser Ausgleichsanspruch beträgt abhängig von der vorgesehenen Flugstrecke zwischen 250,00 und 600,00 Euro. Allerdings muss die betroffene Fluggesellschaft eine solche Zahlung nicht leisten, wenn ein „außergewöhnlicher Umstand“ für die Verspätung oder den Ausfall vorlag.

Die Verordnung regelt nicht im Einzelnen, was unter „außergewöhnlicher Umstand“ zu verstehen ist. Die Gerichte gehen davon aus, dass es sich um Umstände handeln muss, die völlig außerhalb des Einflussbereiches der Fluggesellschaft liegen und auch dem üblichen Betriebsrisiko nicht zugeordnet werden können. Dies betrifft beispielsweise Vulkanausbrüche oder sonstige Naturkatastrophen.

Sehr häufig kommt es vor, dass Flüge wegen Streiks ausfallen oder sich verspäten. Bislang war die Rechtsprechung in Deutschland der Ansicht, dass es sich hierbei um einen „außergewöhnlichen Umstand“ handelt, da die Fluggesellschaften hierauf keinen direkten Einfluss haben und darüber hinaus viele Streiks auch sehr kurzfristig organisiert werden. Nach einer Entscheidung des EuGH aus dem Jahr 2021, die nunmehr veröffentlicht wurde, dürfte es bei der deutschen Rechtsprechung Veränderungen geben.

Der EuGH ist nämlich der Auffassung, dass nicht alle Streikmaßnahmen, die zu einer Flugverspätung oder einem Flugausfall führen, automatisch als „außergewöhnlicher Umstand“ im Sinne der Fluggastrechteverordnung zu bewerten sind. Vielmehr müsse differenziert werden. Wenn es sich um einen nach Aufruf durch eine Gewerkschaft geführten Streik von Beschäftigten gerade der betroffenen Fluggesellschaft handelt, soll kein außergewöhnlicher Umstand vorliegen. Denn Arbeitskampfmaßnahmen des eigenen Personals seien ein vorhersehbarer Vorgang im Rahmen von Tarifverhandlungen und dies sei der Risikosphäre der Fluggesellschaft zuzurechnen.

Es wird also zukünftig danach zu unterscheiden sein, ob es sich um einen Streik etwa der eigenen Piloten oder beispielsweise eines Sicherheitsdienstes am Flughafen gehandelt hat, der zu der Verspätung oder dem Ausfall des Fluges geführt hat. Wenn es sich um das eigene Personal handelt, werden die Fluggesellschaften künftig eine Ausgleichszahlung nicht mehr mit dem Einwand zurückweisen können, dass ein „außergewöhnlicher Umstand“ vorliege.

Michael Wüst
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

11. Oktober 2022